Teil 1: Zwischen HUFEISEN und TREIBHAUS - Urbaner Dorfplatz für den Nahen Osten in Bielefeld
1. Dezentrale Kleinstrukturen und Diversität:
Durch die zivile Überlassung der Rochdale Barracks steht eine räumlich begrenzte Insel mit Quartierspotential im Wohngebiet zur Verfügung. Gleichzeitig bietet sich die einmalige Chance für einen identitätsstiftenden Ortskern, der dem „Nahen Osten“ in Bielefeld über Jahrzehnte fehlt. Eine Scharnierfunktion zwischen der „Sozialen Stadt Sieker“ und dem Bielefelder Zentrum könnte entstehen.
Diese seltene Erschließungsfläche darf keinem Wettlauf der Begehrlichkeiten ausgesetzt werden: Befrachtung mit Bruttogeschosszahlen im hochverdichteten Wohnungsbau, versiegelten Gewerbeflächen, Schul- oder Behördenniederlassungen. Diese Methode mag für monothematische Flächenprojekte gelten, weniger für integrierte Stadtentwicklung im Sinne eines urbanen Dorfes. Dessen Ressourcen wären schnell verbraucht.
Die großbetriebliche In Beschlagnahme ganzer Gebäudeblocks (BAMF Am Stadtholz, Georg Müller Gesamtschule Detmolder Straße – Baudezernent Moss: „Wir haben bewiesen, wir können Konversion.“) lässt sich nicht auf die differenzierte Gründung eines bunten Quartiers übertragen. Ein erdrückender Schulkomplex auf einer Insel bedeutet flächendeckenden Leerstand vom Nachmittag bis zum nächsten Morgen und blockiert die Belebung von Platz und Quartier dann, wenn die Menschen Zeit haben.
Das Gegenteil wäre Diversität (sich gegenseitig befruchtende Vielfalt). Die Belebungsfunktion im „Hufeisen“ zwischen Rußkamp, Oldentruper Straße und Taubenstraße geht vorrangig von diesen vier Bestandsgebäuden aus, die als „erhaltenswert“ eingestuft werden sollten. Entsprechend belebend sollte dieses Backsteinensemble solchen „Keimzellen“ angeboten werden, die diese Aufgabe erfüllen können:
Beispielhafte Keimzellen im Format von Klein- und Mittelstrukturen inkl. formeller und freier Bürgerberatung, Stadtteil-VHS und freie Bildungsträger, Ausbildungsprojekte-Projekten i. V. m. Beschäftigung und Vermarktung, emissionsarmes Kleingewerbe „light“, KITA- und Pflege, soziale Dienstleistungen, Einzelhandel, Arzt- und Physiopraxen und Restaurants in den Erdgeschossen (sozio-ökonomisch abgestimmter Branchenmix). Darüber Dienstleistungen und Wohnen in unterschiedlichen Miet- und Eigentumsformen und selbst verwaltete Wohnprojekte sowie ein Quartiersverein. Grundrisse ehemaliger Mannschaftsgebäude mit strukturierenden Korridoren lassen sich in neue Raumkonzepte bis hin zu Lofts auflösen. Die Sozialbindung sollte angesichts der Rückläufigkeit von Sozialwohnungen bei 50% liegen und nicht auf die Wohnprojekte angerechnet werden. Der notleidenden Szene der Kunst- und Kulturschaffenden sollten optionale Raum-Angebote für eine Dauerperspektive vorgehalten werden, um sie vom Katzentisch zu befreien und deren angemessene gesellschaftliche Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.
2. Struktur und Belebung des urbanen Dorfplatzes:
Die als „erhaltenswert“ zu deklarierenden Bestandsgebäude in rotem Backstein verkörpern das
TOR in den neuen Ortskern und bilden die kulturelle und gewerbliche Kraftquelle für einen bewohnbaren Platz an der Südseite und den seitlichen Flanken. Eine identitätsstiftende Verbindung zwischen alter und neuer Architektur (vgl. Konversions-Campus FH Detmold) bietet sich an: Transparente Mehrzweckriegel zwischen den Bestandsgebäuden mit erweitertem Raumpotential als zusätzliche Verkehrsabschottung zur Oldentruper Straße mit fußläufigen Durchlässen.
Eine vorsichtige Verkleinerung an der Nordwestseite des Platzes (intimere Bemaßung) ermöglicht das moderate Vorrücken von neuer Wohnbebauung als schmale Flanke. Die Anbindung zur westlichen Nachbarschaft (Am Rußkamp) könnte über einen Grünpuffer mit Aufenthaltsflächen als Distanz- und Bindeglied und evtl. Baumbepflanzung erfolgen. Diese Distanz- und Bindungsfunktion erhielte der Grünpuffer zugleich gegenüber dem Neuen Platz im Hufeisen der Bestandsgebäude.
Bespielung und Bewirtschaftung des urbanen Dorf-Platzes erfolgen anteilig aus dem südlichen Hufeisen (s.o.) und dem Kommunikations-Zentrum an der Nordtangente des Platzes.
Das moderne Lagergebäude als nördliche Begrenzung des Platzes sollte auf möglichen Umbau oder dessen Standort für den Neubau eines MULTIFUNKTIONALEN KULTURZENTRUMS geprüft werden: Die exklusive Gebäudewidmung für einen temporären Einzelzweck erscheint für ein kleines Quartier nicht bedarfsgerecht. Mobile Bühnen (Beispiel Francis Kéré Mobile Volksbühne Hangar Tempelhof), mobile Zuschauerränge, mobile Marktstände, Ateliers on Demand für Workshop-Veranstaltungen, Ausstellungen und für Vorträge dagegen lasten das „TREIBHAUS“ anlassbezogen regelmäßig aus. Die „atmende“ Beweglichkeit der Einzelmodule sollte dem architektonischen Qualitätsstandard stationärer Einheiten nicht nachstehen. Eine „Treibhauskantine“ könnte zum strategischen Herzen dieses bunten Hauses werden. Seine Vielseitigkeit strahlt modellhaft über das engere Quartier in die Stadtbezirke und rechtfertigt Investitionen und Förderanträge, die auch von der gesamten Stadtgesellschaft und NRW mitgetragen werden.
Eine gelungene Konversion soll nicht in der reibungslosen Einfügung in die bestehenden Anrainer-Gebiete bestehen. Vielmehr soll ein urbanes Dorf eine kreative Sogwirkung auf die umliegenden Stadtteile ausüben. Und es könnte zum Bleiben und zum Zuzug bewegen.